Bullay - Traben-Trarbach

Nach dem Frühstück trabbel ich langsam los, gaaanz langsam. Irgendwie stecken mir die beiden letzten Tage ziemlich schwer in Bein und Bauch.


Aber auf Marienburg, gleich hinter Bullay nur ein Stückchen den Berg hinauf, geht es mir schon wieder viel besser. Die Kirche ist so hell und groß und modern. Sie riecht nach den jungen Menschen, die rundherum an Tischen in der Sonne in Gruppen sitzen, irgendwelche Aufgaben lösen und neugierig meinen Rucksack beäugen. Ich mag das! - also nicht so das beäugt werden (wobei die Beäugung von ihnen eher neugierig als von oben herab ist. Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, aber wenn man so, vielleicht auch noch gerade als Frau jenseints der flotten Zwanziger, mit einem großen Rucksack unterwegs ist, da erntet man schon manchmal Blicke ... die kann man haben, muss man aber nicht), sondern die Jugendlichen und auch die Kirche.





Ich komme mit einer Dame ins Gespräch, die hier arbeitet, und sie erzählt mir die Geschichte der Madonna mit Kind, die draußen vor der Kirchentüre steht: Ein Sturm hat sie einst von ihrem Sockel gepustet und ihre Scherben lagen 20 Jahre lang verlassen und vergammelnd im Keller, bis der Hausmeister über sie stolperte, ein bisschen hier puzzelte, ein bisschen da wieder zusammensetzte, ein bisschen dort kleisterte und sie in mühevoller Kleinstarbeit wieder zusammensetzte. Ist das klasse? Ich würde diesem Herrn so gerne mal über den Arm schrubbeln!


Was mir auch sehr gut gefällt, ist der moderne und von 14 Realschülern gestaltete Kreuzweg, der mich wieder hinunter zur Mosel führt, die von hier aus gesehen links und rechts von uns entlangläuft. Marienburg liegt genau an der engsten und höchsten Stelle einer Moselschleife und vorne am Zipfel auf der gegenüberliegenden Flußseite liegt Zell.


Wenn ihr eben nicht verstanden habt, was ich mit unangenehmer Beäugung gemeint habe, macht einfach mal einen Selbstversuch, setzt euch einen großen Rucksack auf den Buckel und flaniert durch die Haupttouristenmeile.


 Das ist das, was ich meine! Da stehen kleine Rucksäckchen dekorativ drapiert an Pflanzkästen geleht. Daneben sitzen mit stolzgeschwellten Brüsten Herren so in meinem Alter oder vielleicht ein bisschen älter und mustern mich und meine Kiepe so abschätzend und abschätzig von oben bis unten und wieder zurück - ich hätte da so gerne Pause gemacht und einen Kaffee getrunken, aber ich gehe weiter. Verhaltet und bewegt euch mal normal, wenn ihr genau wisst, dass viele Augen auf euch gerichtet sind! Das ist ungefähr so unmöglich, wie ganz normal zu gucken, wenn man genau weiß, dass man gerade fotografiert wird. Nee, das muss ich nicht haben. Und nach Flanieren steht mir auch nicht der Sinn, also renne ich durch Zell durch und bin froh, als ich wieder im Wald bin.


Enkirch, der nächste Ort an der Mosel, ist da viel mehr nach meinem Geschmack - es ist sooo schön hier! Als erstes finde ich Blumen in einem Straßengully, dann fallen mir die geschnitzten Straßenschilder auf und schließlich kommen mir auch ein bisschen die Caminofeelingtränchen, weil ich ein Geschäft finde, das mich so an die tiendas in Spanien erinnert - Heideröslein!, ist das der Hammer! Ich erinnere mich noch gut an das Geschäft von Frau Löhr aus meiner Kindheit. Es war anders, aber das hier macht mir genau dieses Gefühl im Bauch! Ich liebe das!


Vor lauter gucken, habe ich allerdings die Muscheln verloren, gehe an zwei Damen, offensichtlich Mutter, schon ziemlich betagt, und Tochter vorbei, die gerade den Vorgarten in Schuss bringen, drehe am Ortsende wieder um und bin ein bisschen ... ratlos.

Bei der Frage nach dem richtigen Weg komme ich mit den beiden Damen ins Gespräch, wobei sie mir genau bestätigen, was ich mir längst gedacht habe: Die Menschen wohnen nicht nur hier, sondern sie sind stolz auf ihr Dorf. Und das völlig zu Recht. Nebenbei erklären sie mir, wie ich gehen muss, und die Tochter bietet mir sofort an, mich mit dem Auto dorthin hinaufzufahren, wo ich wieder in den Wald komme. Aber ich habe ja auch meinen Stolz und schnaufe eigenbeinig am "Knieschinner" vorbei - oh, wie der Name passt!

Und das war erst der Anfang: Es geht steil hinauf auf einen Bergrücken, wo ein wunderschöner Wanderpfad auf mich wartet. Der ist richtig ein bisschen wie im Gebirge, geht mal steil hinauf, mal wieder ein bisschen runter, mal über Geröll, mal über nackeligen Fels, immer mit dem Blick rechts hinunter zur Mosel - er ist einfach klasse! Heute ist MEIN Tag!

Und ich doofe Ziege wollte gestern abbrechen, Heideröslein!, da hätte ich mich jetzt aber in den den Hintern gebissen!


Naja, ein bisschen tu ich das jetzt auch, denn ich muss mich ein bisschen beeilen. Die Herbergsmutter von Traben-Trarbach, bei der ich mich telefonisch angemeldet habe, möchte um 19.00 Uhr weg und ich möchte nicht, dass sie auf mich warten muss.


Ich nehme es mir allerdings nicht, in Starkenburg in die kleine und total kuschelige evangelische Kirche zu gucken und dort kurz durchzuatmen. Sie ist so schön! Und so lieb!: Auf einem Blatt Papier wird der Besucher schriftlich begrüßt und ich hoffe, die Starkenburger sind mir jetzt nicht böse, wenn ich hier zitiere, aber mir haben diese Worte so im Bauch gekruschelt: "Ihr Weg hat Sie hierher geführt - wir hoffen, sie Finden

hier einen Ort, wo Sie wieder auftanken können, um den Weg dann frisch und mit neuer Kraft fortzusetzen. Auf dem Weg sind wir alle - mal allein, mal mit anderen gemeinsam. Wir teilen auf dem Weg: unsere Erfahrungen und unser Brot, unsere Erinnerungen und die Wasserflasche, unsere Freude und unser Leid." - Und vor diesen Worten steht ein Holzregal mit Dingen, die man sich nehmen und Dinge von sich hineinlegen darf. Und einen Stempel gibt es auch!



So, nun hab ich mich hier aber ein bisschen dolle verdüddelt, gesessen, durchgeatmet, meinen Gedanken hinterher-gelauscht, jetzt muss ich mich aber wirklich beeilen!


Ich schaffe es nicht ganz, pünktlich in die alte Lateinschule zu kommen, und habe ein fürchterlich schlechtes Gewissen, das mir die Herbergsmutter aber sofort nimmt. Obwohl sie eigentlich schon längst weg sein wollte, nimmt sie sich alle Zeit der Welt für mich, macht mir in dem wunderschönen Aufenthaltsraum eine Tassee Kaffe, vertrödelt sich mit mir in einem Gespräch, steigt dann die schmale Wendeltreppe mit mir hinauf in den Schlafsaal ...




und ich weiß gar nicht, von was ich mehr schwärmen soll, von ihr, von dem Raum mit dem Kachelofen, den alten Tischen und Stühlen, der gemütlichen Sofaecke und den frischen Blumen überall, von der Wendeltreppe, durch die ich mich mit meiner Kiepe richtig hindurchquengeln, muss oder von dem Schlafraum, in dem nur die Anzahl der Betten nicht in das Märchen passt, das mich "hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen noch viel schöner als ihr" macht. Diese Herberge ist ....


Ach was!, mein Entschluss steht längst fest: Dies ist mein erster, aber ganz bestimmt nicht mein letzter Mosel-Camino. Ich gehe ihn auf alle Fälle noch einmal. Ich weiß ja jetzt, wo es langgeht und Wege wie heute und Orte wie diese Herberge - ich bin ja schon ein bisschen unverschämt, aber die reichen mir mit einmal nicht.

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