Traben-Trarbach - Klausen

Ich genieße das Frühstück mit Frau Böcking, der Herbergsmutter. Ich muss schon sagen: Es fällt mir furchtbar schwer, mich von diesem Ort zu trennen. Das Haus, die Wendeltreppe, die Räume, der Garten - das alles hat ein Gefühl und ich kann sie nur zu gut verstehen, dass sie hier unbedingt wohnen wollte.


Aber es nutzt ja alles nix, ich muss weiter. Ich will ja am Freitag pünktlich für ein Pilgertreffen, auf das ich mich ganz arg freue, von Thomas in Trier abgeholt werden. Von den Weinbergen auf der gegenüberliegenden Seite werfe ich einen letzten Blick zurück auf die Kirche und die alte Lateinschule, bevor ich im Gebäum verschwinde.


An den Graacher Schanzen vorbei komme ich nach Bernkastel-Kues und muss doch mal ein bisschen grinsen: Ich weiß noch genau, wie ich mit meinen Eltern hier war. Da muss ich so 13 oder 14 Jahre alt gewesen sein und ich fand es soooo ätzend! Blöde alte Fachwerkhäuser, viel zu viel Tourismus, all die genschniekelten und gestriegelten Leute in Faltenröckchen und Pliseeblüschen



(Hallo! Das trug Dame damals! ("damals", und das aus meinen Fingern - Heideröslein, bin ich alt!)) (wenn ihr mir gerne einmal widersprechen wolltet: Hier ist genau die richtige Gelegenheit dafür! - Nein? Na gut.), all dieses doofe Geschlender und Geflaniere durch die Gassen - das brauchte für mich damals kein Mensch und ich schon mal dreimal nicht! Und heute? Ich schlendere verzückten Blickes durch die Gassen (bin ich froh, dass Falten und Plissee inzwischen out sind!), bleibe staunend vor allen möglichen Erkern und Bleiglasfenstern stehen und bewundere auf dem Marktplatz das Spitzhäuschen. Es ist so schön hier!


Aber besonders schön finde ich die Kirche St. Michael. Ich betrete sie durch den Seiteneingang und bin sofort von ihr gefangen. Zuerst schüttele ich noch ein bisschen innerlich den Kopf, weil sie so anders ist als andere Kirchen. Die Schiffe sind verschieden breit, das ist so ungewohnt! Sonst sind Kirchen immer so symetrisch und klar geordnet, aber hier ... "beißt" sich alles irgendwie: Hell und weit gegen dunkel und eng, alt gegen modern - sie macht erst so ein stuzend Stehenbleiben und verdattert Gucken, aber irgendwie scheint der Heilige Michael,  


der vorne hängt (den mochte ich schon immer, weil der immer ein bisschen ... luftiger aussah, als andere Heilige, leichter, jugendlicher - wisst ihr, was ich meine, nicht so alt und griesgrämig dreinschauend) mit seinem Finger zu locken: Kooomm, kooomm! Ich möchte sie ganz genau betrachten, jedes Eckchen erkunden.

In der Kneipschen Kapelle finde ich den Heiligen Jakobus. Der macht mir eh immer das Gefühl, dass ich irgendwie richtig bin, da, wo ich bin. Heiliges Jakobchen, wenn mir vor acht Jahren jemand gesagt hätte, dass es den überhaupt gibt, hätte er mich trotzdem nicht interessiert!

Jedenfalls ist es in dieser Kapelle unten dunkel, warm, heimelig, eng und obendrüber hell, offen, weit. Der moderne Hauptaltar und der besonders schöne Lesepult stehen vor einem Pestaltar und als ich zum schweren Nikolausaltar gehe, stolpere ich schier hier drüber:



 

Kennt ihr die noch? Ich schon, ich habe die täglich getragen, als ich Bernkastel-Kues noch sooo ätzend fand: Jesuslatschen! Ich muss mich echt ein bisschen zusammenreißen, dass ich nicht laut loslache: Heute ist wohl mein Tag der Vergangenheitsbewältigung!

Aber am deutlichsten werden diese in der ganzen Kirche so krassen Gegensätze am Taufbecken, das nicht vorne neben dem Hauptaltar steht, sondern hinten unter der Orgel in einer Kapelle ... heimelig umringt von den Bildern des Kreuzweges: Der Tod umhüllt die Geburt, stellt das Leben (Taufbecken) in den Mittelpunkt, nicht ohne klarzumachen, dass es rundherum begrenzt ist und es keinen Durchschlupf gibt.

 

 


Als ich über die Brücke zur anderen Moselseite watschele, höre ich doch tatsächlich, wie jemand mir buen Camino! hinterherruft. Kinders, ist das schön! Das hat mir so gefehlt! Ich bin zwar Gernealleinegeher, aber bis jetzt habe ich nur ganz wenige Wanderer und die nur mit Tagesrucksäckchen gesehen. So ganz mit ohne Pilger um mich herum, fühle ich mich doch ein bisschen ... verloren. Und jetzt das: buen Camino! Das tut so gut! Es kommt von einem Ehepaar, das ein bisschen älter ist als ich und mir erzählt, dass sie auch schon "in Spanien auf dem Jakobsweg" - also auf dem Camino francés - unterwegs waren und ihre Pilgerei so genossen haben. Wir reden noch ein bisschen. Es fällt mir so schwer, mich von ihnen wieder zu verabschieden und weiterzuwatscheln, zumal jetzt die Strecke kommt, die für meinen Geschmack die langweiligste auf diesem Camino ist: Bis Leiser geht es immer stur auf dem asphaltierten Fahrradweg direkt am Fluss entlang. Und ich Dussel habe meinen MP3-Player vergessen und kann mir noch nicht einmal Musik in die Ohren stopfen, um das Ssswwwummmssswwwummm-ssswwwummm der E-Bikes nicht mehr zu hören, die an mir vorbeiflitzen.



In Lieser fehlt mir ein bisschen der Nerv, mir den Ort näher anzusehen. Ich will nur noch wieder in Felder, Wälder und Wiesen - und zwar sofort! Es darf auch gerne ein bisschen wehtun!


So wetze ich drauflos, bis ich in Monzel durstig zu einer Gaststätte einschwenke. Und was steht da? - Ein großer Rucksack mit Muschel! Ich kann es kaum glauben und freue mich, wie ein Seepferdchen. An einem Tisch sitzen vier Herren, der Rucksack muss zu einem von ihnen gehören. Ein kurzer Blick und ich kann mir denken, wem. Der passt irgendwie nicht zu den ordentlichen, sauberen anderen drei Tischbesetzern. "Wemm gehört denn dieser Rucksack?" frage ich und bekomme prompt von eben diesem die Antwort: "Das verraten wir nicht!" -


 

Oookayyy, damit sind die Grenzen gesteckt, ich bestelle mir etwas zu trinken, setze mich an den übernächsten Nachbartisch, denke ein bisschen wehmütig, dass ich eine solche Antwort in Spanien noch nie bekommen habe, und rufe im Dorfladen in Klausen an, um zu fragen, ob ich dort übernachten kann. Kann ich, ich soll nur bitte noch vor 18.00 Uhr da sein. Uuups, da bleibt mir nicht viel Zeit und ich muss wieder wetzen! Ist aber nicht schlimm, ich muss ja kein nettes Gespräch abbrechen (falls ihr es noch nicht bemerkt habt: Diese blöde Antwort hat mich schon ein bisschen angepieselt). 

 

Trotzdem schaffe ich es wieder nicht pünktlich, was aber wieder nichts ausmacht, denn als ich über 10 Minuten zu spät ins Geschäft stürze, ist die junge Verkäuferin noch in einem angeregten Gespräch mit einer älteren Dame.

 

Ich grüße erst einmal nur schnell, möchte aber nicht stören, stelle meinen Rucksack ab und gucke mich um.  Leider habe ich von innen kein Foto, aber wenn ich mal etwas sagen darf: Ein solcher Laden sollte absolutes Muss für jeden Ort sein! Es gibt alles, was man im täglichen Bedarf brauchen könnte, Essen und Nichtessen, und eine Bäckerei mit Café, damit man beim Plausch - und das hier ist ganz eindeutig ein ausgesprochener Plauschladen, schließlich habe ich viel Zeit, zu verschnaufen, bis die ältere Dame sich verabschiedet hat - nicht verhungert oder verdurstet. Das ist so klasse! Gerade für ältere Menschen! Bei uns z. B. gibt es Supermärkte, aber die sind alle ein bisschen außerorts. Dazwischen haben wir ganz viele Bäcker und Cafés, aber kein Geschäft, in dem man schnell ein Päckchen Backpulver, eine Tüte Milch oder drei Eier kaufen kann. Das ist so schade!

 

Nachdem ich mein Bett (ich bin ganz alleine im Herbergs-zimmer - das ist schon schön, aber irgendwie auch ganz komisch) bezogen, mich geduscht und meine verschwitzten Kleider gewaschen habe, würde ich gerne die Kirche besich-tigen. Allerdings habe ich mir eine ungeschickte Zeit dafür ausgesucht. Gerade läuten die Kirchenglocken und rufen die Menschen zum Gottesdienst. Na gut, ich hab eh auch großen Hunger und im Kloster gegenüber hängen Schilder, dass es hier ein Pilgeressen und selbstgemachte Limonade gibt. Das klingt seeeehr verführerisch. So sitze ich schon bald auf einem sehr gemütlichen Terassenstuhl im Hof, schlürfe leckere Zintronenlimonade (die Orangenlimonade ist noch nicht fertig - ich wusste gar nicht, dass man Limonade kocht!), schlabbere ein "Wilhelminchen" (nackige Bratwurst mit ohne Pelle in Brotteig) und total leckere Käsesuppe satt.


Erst sitze ich noch alleine am Tisch, aber das macht gar nichts, weil hier spricht man tischübergreifend. Da gibt es keine Stuhlgrenzen und ich werde als Nichtansessige sofort integriert. Bald setzt sich eine Schweizerin zu mir, die den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs war und ziemlich gestresst ist. Sie tut mir so leid und ich höre ihr gerne zu. Und bald bietet uns der Hausherr, ein Laiendominikaner, an, uns gerne durch das Kloster zu führen. Er zeigt uns die ehemalige Kapelle, in der die Nonnen, die früher hier lebten, vor den Blicken der "Normalos" geschützt ihre Gottesdienste feierten. Sogar Familienbesuch empfingen sie nur durch ein Holzgitter geschützt! - Ich muss ein bisschen grinsen, denn das würden sich meine Brüder auch wünschen, dass ein Holzgitter sie vor meinem Geknutsche schützt. Tja, tut mir leid, Jungs, aber das wird in diesem Leben nix mehr!